Die Mehrgleisigkeit der Fotografie
Meine Fotografie von Menschen gehört im Fotojournalismus zum Alltagsgeschäft. Berichte in den Zeitungen handeln von dem, was die Menschen tun, was durch sie und mit ihnen geschieht. Sie sind dabei Wesen in der Öffentlichkeit, und die Aufgabe des Fotojournalisten ist es, Dinge und Menschen so zu zeigen, wie sie sind. Das klingt zwar objektiv – ist es aber nicht. Denn der Fotograf bringt immer seine eigene Sehweise, seine Erfahrungen und Interpretationen mit.
So werden auch die in einer Zeitung veröffentlichten Fotos zum subjektiven Ausdruck einer subjektiven Fotografie. Dennoch darf das Pressefoto nicht verzeichnen, es muss in einem nicht fest definierten Rahmen trotzdem objektiv, hier im Sinne von „die reale Situation wieder gebend“, sein. Der Empfänger der Botschaft eines Pressefotos muss diese schnell und unmittelbar aufnehmen und es muss eine für ihn verständliche und nachvollziehbare sein.
Ausserhalb der Medien darf meine Fotografie völlig subjektiv sein. Hier darf und kann die Botschaft zur echten und reizvollen Herausforderung für den Betrachter werden. Wenn ich es schaffe, die Energie des Betrachters zu wecken, sich mit meinem Bildmotiv zu beschäftigen, genau dort seine Zeit und sein Gehirn so lange zu binden, bis er zum schmunzelnden (oder auch kopfschüttelnden) „!“ kommt – dann darf ich das Erfolg nennen.
Die künstlerische Fotografie darf richtig subjektiv sein, spielen, probieren, provozieren oder zum lachen bringen. Ich bin der Meinung, dass die Fotografie hier auch zur Höchstform aufläuft, nämlich in dem sich dort entwickelnden Spannungsfeld zwischen technischer Objektivität und gestalterischer Subjektivität: „Was hat der da nur fotografiert? Ich sehe es, aber ich erkenne es nicht...“ Oder ich erkenne es in aller Härte, Schönheit, Weichheit, Emotionalität.
Meine eigenen, subjektive Fotografie ist die Suche nach der fremden Welt in der vertrauten. Ein Spiel mit Formen und Farben, das Loslösen der Bildelemente von ihrem alltäglichen Dasein. Ich hebe gerne das, was ich erfühle, auf eine verrätselnde, herausfordernde Ebene. Manches geschieht dabei gut geplant, manches eher zufällig wie bei der kleinen Serie „Blue Moon“. Der Sylvester-Mond war der Hauptdarsteller (Nur er heisst real „Blue Moon“, er ist der Vollmond, der in zwei Jahren zugleich scheint). Und so stand er zum Jahreswechsel 2009/10 am Nachthimmel, und das Feuerwerk unter ihm trug mit seiner zufälligkeit zu faszinierenden Motiven bei. Der folgende, lange Winter schuf wiederum eine ganz eigene Welt, die unendliche Möglichkeiten bot, sie objektiv zur Subjektivieren. Wie faszinierend die Natur doch ist, was sie an Möglichkeiten bietet!
Aber die Fotografie kann nicht alle Erfahrungen und Erfühlungen für den aussen stehenden erfahrbar machen. Sie kann primär nur das Sehen bedienen, dabei den anderen Sinnen Erinnerungen aus der Erfahrungsgeschichte des Betrachters vermitteln. Die reine Darstellung von Dingen, gepaart mit einer reizvollen Bildgestaltung, will mir manches mal nicht ausreichen. Meine Fotos der Kieler Strassenbahn, die bis 1985 fuhr, haben eine historische, archivische Bedeutung. Lebendiger werden sie im Zusammenspiel mit einer alten Tonaufnahme, die sich ebenfalls in meinem Archiv findet: Eine Mitfahrt von Endstation zu Endstation, die alle Sounds der Bahn dokumentiert, von der Durchsage des Fahrers bis zum Rumpeln des Waggons in den Weichen.
Oder der Klang, der Sound eines Bunkers an der jütischen Nordseeküste. Kein Foto kann das Vermitteln und wer noch nie bewusst dem Klang dieser Architektur gelauscht hat, kann das einfach nicht aus den Bildern heraus lesen. So habe ich den kleinen Band „Bunker“ mit einer Audio-CD produziert, um auch den Ton und darüber die Geschichte und meine Gedanken noch präsenter zu machen, das auszudrücken, was ich vor Ort wahrgenommen habe.
So erweitere ich meine künstlerische Arbeit über die Fotografie hinaus in die Welt der anderen Sinne. Und mache dem Betrachter, Hörer, Betaster ein erweitertes Angebot, an meinen Gedanken teilzunehmen. Wenn er dazu bereit ist:
Besten Dank dafür!