Itzehoe als Ort. Text zum Kunstfestival Itzehoe 2013
Was ist das: Ein Ort? Wer oder was definiert ein Gebilde, wie wird es zu einem Etwas, welches sich „Ort“ nennen darf?
Wann wird das Etwas zum Ort – oder wodurch? Der Einstieg in die Veranstaltung befasst sich mit dem Entstehen der Lokalität. Und das aus zwei Tele- also Fern-Perspektiven: Die eine ist die Zeit, die andere der Raum.
Zunächst zur Perspektive der Zeit:
Sieht man einmal von Raumstationen im All ab, war jeder Ort mehr oder weniger „schon immer“ da. Kaum jemand stellt das in Frage, es gilt als völlig selbstverständlich. Die Erde ist etwa vier Milliarden Jahre alt. Demnach könnte sich formulieren lassen: Der Ort Itzehoe ist vier Milliarden Jahre alt! Geologisch geht das in Ordnung, schliesslich steht der Ort auf Gesteinen und Sedimenten, die ein solches Alter durchaus erreichen. Auch wenn man davon ausgehen muss, dass einige schon mehrmals den plattentektonischen Kreislauf von Eintauchen in den Erdmantel und Ausspucken an den Vulkangürteln hinter sich haben.
Zu erkennen ist davon heute freilich nichts mehr, die Erosion hat den Untergrund an der Oberfläche gebügelt und glatt gemacht. Nicht einmal die Tektonik der Salzstöcke ist hier sichtbar, nur erfahrbar durch die Herstellung von Zement – das ist immerhin ein kleines Glück: Man guckt hier von oben nach unten in das Loch. In Bad Segeberg guckt man unterwürfig nach oben auf den Hut, den Gipshut des Salzstocks.
Und dann kam die Kälte noch dazu. So kalt, dass sich das skandinavische Gletschereis überlegte, es könne ja einmal einen Ausflug nach Süden machen! Zuerst rauschte es glatt über den Ort hinweg, hobelte und schrapte bis weit in den Süden. Ein anderes mal stoppte es ungefähr auf Höhe Itzehoe, liess den Haufen Dreck und Schutt, den es vor sich her schob, wie ein guter Gast an Ort und Stelle für die Wohnungseigentümer zurück und schuf damit die Situation, mit der man sich als Steinzeitmensch schlicht abzufinden hatte: Im Nordosten die Sandwüste, in der Mitte der Steinhaufen mit Aussicht und davor im Südwesten die große Abwasserrinne mit ihren Sümpfen, von wo in heissen Sommernächten die Geister aus dem Moder aufstiegen und sich über die Welt hermachten. An sich ein recht abwechslungsreiches Plätzchen, das sich dort formte: Im Vordergrund der mäandrierende Fluss, der heute „Stör“ genannt wird, eine so genannte „Geestinsel“ dahinter und dahinter dann die Unendlichkeit.
Und damit sind wir an den Anfängen dessen angekommen, was sich heute „Geschichte“ nennen darf: Der Mensch ist da – immer auf der Suche nach dem Neuen, dem Abenteuer in der Welt! Die Sandwüste war weitläufig, aber recht langweilig: Es ging geradeaus und man kam immer irgendwo an ein Ziel. Das war keine echte Herausforderung, schon eher eine Notwendigkeit. Es gab immer jemanden, der etwas hatte, das man selber haben wollte und es gab immer etwas, das man selbst hatte und von dem der andere glaubte, es besitzen zu müssen. Insoweit Richtung Norden also bis Skagen kein Problem.
Aber im Süden? Was verbarg der Sumpf, wohin führte wohl der Fluss? Es ist nicht klar, wie viele Expeditionen aufbrachen, mit Ruhm, Ehre und Erwartungen beladen. Hinter der nächsten Kurve des Flusses war die Welt doch schon eine ganz andere – und was kam dann? Wie oft hat man sich im Gewimmel der Elbströme verfahren? Ist jemals eines der Boote zurückgekommen, gegen alle Gezeiten und Flussströmungen, die ja immer nur wegführen vom Ausgangspunkt? Hat irgendeiner berichten können von der Terra incognita unter der Sonne und hinter dem Moder?
Da verloren sich die Mutigen in der Ferne und niemand wusste, was aus ihnen geworden war. Ging man davon aus, dass sie gescheitert waren? Setzte man ihnen Denkmäler oder erschuf Mythen um ihre Schicksale, die man noch den Enkeln erzählte? Man stelle sich vor: Die Abenteurer landeten in irgendeinem Paradies mit gebratenen Tauben und schönen Frauen und warmen Bädern. Sie wollten niemals zurück an den Ort des Ursprungs, bloss nicht! Und zuhause, zwischen Sumpf und dem Berg, wurden sie betrauert – was für eine Geschichte!
Der vom Eis zurück gelassene Steinhaufen ist für die Gegend spektakulär: Oben steht der Mensch unglaubliche 70 Meter über dem Sumpf! Das ist so hoch, dass sich niemand traute, eine Wallburg anzulegen, war man den Göttern dort doch eindeutig zu nah. Ganz anders als im heutigen Ort „Burg“ weiter westlich, wo man das nicht so problematisch fand und immerhin eine leidlich gute Sicht über den Modder hatte. Den dortigen Ort dann „Burg“ zu nennen, ist passend dazu dann auch nicht eben sehr spektakulär. Ganz im Gegensatz zu der Bezeichnung „Itzehoe“, worüber man bis heute rätselt.
Man kann sich trotzdem gut vorstellen, wie sich die Horden unterhalb des Gipfels im zukünftigen Itzehoe faul am Südwesthang des Geestrückens in die Sonne legten, von dort über die Weite des Urstromtales der Elbe blickten und beim Sonnenuntergang einerseits verzückt waren von dem Schauspiel, andererseits aber wieder Angst bekamen vor den Geistern aus dem Sumpf. Das ist dann schon der Grund für erste neue Berufe wie den Geisterbeschwörer, da könnte sich Itzehoe schon sehr früh das Thema „Innovationsraum“ anheften lassen. Man tat ansonsten, was man immer tat: man jagte und sammelte, baute Grabhügel, fertigte Werkzeuge und handelte mit der Welt. Ohne zu ahnen, was noch kommen sollte, wechselten die Generationen und hinterliessen nur wenig, was von ihren Nachfolgern übersehen wurde und deshalb bis heute überdauerte.
Insofern ist das Heute eine direkte Funktion der Zeit: Alle vor Ort machen was, – schön hintereinander durch die Zeitläufte – ganz genauso wie die geologischen Prozesse zuvor und sogar noch ein wenig parallel zu den Menschen. Alle formen ihre Welt und damit den Flecken, der sich einmal zu unser aller Rätsel „Itzehoe“ nennen wird. Heute ist es klar, niemand stellt den Namen in Frage. Aber wann wurde überhaupt ein Name für diesen Ort vergeben? Hiess er zuerst einfach „Ort“ oder „Da“ oder „Hier bin ich!“ ? Das letztere hätte es immerhin möglich gemacht, noch ein „kommst Du dazu?“ hinterher zu grölen, was sehr positiv wäre, läge darin doch die Grundformulierung des Wachstums. Das aber ist nicht mehr zu ergründen. Heute ist es „Itzehoe“ oder „Itzepo“ oder „It‘s a Hoe“ oder was einem sonst noch einfällt: Unklarheit schafft Phantasie. Das ist wundervoll! Und damit wären wir in der Gegenwart und können uns dort der Perspektive des Raums widmen, den wir auch in der Zeit schon heftig gestreift haben.
Wie jeder weiss: Raum hat drei Dimensionen: Zwei für die Unendlichkeit der Fläche und eine dritte für die Höhe. Die beträgt innerhalb des heutigen Gemeinwesens glatte 70 Meter. Man stelle sich das einmal vor: 70 Meter Höhendifferenz klingen im Vergleich zur Unendlichkeit der Fläche wirklich mikrig. Allerdings weiss jeder Radfahrer ein Lied davon zu singen, positiv wie negativ. Ob das der profane Grund für die Burglosigkeit ist: Die Bocklosigkeit, zum Frischfisch-Holen ständig runter und dann wieder rauf zu müssen?
Der Gipfel steht zwischen beiden Welten. Die Horden aus dem Sand wollten nicht runter in den Sumpf und die Jungs aus dem Süden waren noch nicht da. Aber das sollte sich ändern...
Die Elbe war schon ewig eine schwer überwindbare Grenze. Die Römer tourten Albis fluvius wohl ein Stück hinauf und fuhren wieder nach Hause – zu kalt, zu schrecklich. Um 800 nach Christus hatte die Nachfolge-Organisation unter Karl dem Großen die Idee, Ihre Nordgrenze an der Elbe längerfristig gegen die ungehobelten Nordmänner zu sichern. Dafür kaufte Kalle einen Stamm ein, der aus seiner Heimat neugierig weit nach Westen vorgedrungen war, um dort mal nachzuschauen, ob sich etwas brauchbares finden würde: die Abodriten. Er zahlte dafür, dass die Jungs sich mit den jütländischen Barbaren anlegten. Aber offenbar nicht genug, denn schon bald hatte er das Gefühl, ein eigenes Team an die Nordgrenze schicken zu müssen. Kalle hatte offenbar Angst vor den Rabauken im Norden. Aber es darf die Frage erlaubt sein: Hatten die überhaupt ein Interesse am Süden?
Also rein in die Boote und ab in den Norden! Sie waren in ganz West- und Südeuropa gewesen, überall war das Klima schön und die Weintrauben nicht weit. Und nun dorthin, wo der Schnupfen und die Gicht lauerten? Wir können nur spekulieren, aber es kommt eher wie eine Bestrafung daher. Und die Vertreter der Kirche mussten ja auch noch mit, da war es nichts mit Unsinn machen! Der Trupp fuhr also die Elbe hinauf und bog an der ersten Gelegenheit scharf links ab in den Sturia fluvius. Nach reichlich Kurven durch die Unendlichkeit aus Schilf und Wasser hatten sie bei der ersten Gelegenheit, festen Boden unter die Füsse zu bekommen, die Boote an Land gebracht und machten Pause. Ohne Lust aufs Weiterfahren schickten sie einen Boten zurück und liessen ausrichten: „Wie haben das Land erobert und bauen jetzt erstmal eine Burg. Basta!“ Wieder eine Burg, diesmal geschlagene drei Meter oberhalb des Meeresspiegels. Wären sie drei Kilometer weitergefahren, hätten sie Itzehoe gegründet. So blieben sie ein hilfloser, frierender und total unbedeutender Aussenposten ihrer Zivilisation, der sich immer wieder mit den Ureinwohnern herumplagen musste.
Die Kirchenleute machten es schlauer: Sie waren inzwischen ausgeschwärmt, hatten zwei Empfangsstationen für den Heiligen Geist eingerichtet und Freundschaft mit den Männern vom Sand geschlossen. Hatten sie wirklich? Irgendwas hatten sie jedenfalls zu bieten, und wenn es nur ein warmes Haus im Winter und salbungsvolle Worte waren, welche die Ureinwohner vermutlich gar nicht verstanden. Noch Jahrzehnte später berichteten Journalisten, dass man in Steinburg nur so tat, als würde man an den lieben Gott glauben: Kämen sie aus der Kirche nach Hause, würden bei den Besuchern die germanischen Götter sogleich wieder auf die Anrichte gestellt.
Nach einigen Jahren der streitbaren Koexistenz sahen die Südländer auf ihrem Brückenkopf keine echte Zukunftsperspektive mehr. Der Chef war tot und begraben, seine Nachfolger interessierten sich nicht für den kalten Norden und der Nachschub kam auch nicht mehr regelmässig durch den Sumpf. Nachdem sie beschlossen hatten, sich lange genug mit den Sandmännern herumgeprügelt zu haben, machten sie den Laden dicht und fuhren ohne Stadtgründung wieder nach Hause. Die Schwarzröcke mit den dicken Büchern liessen sie zurück. Die hatten ja ihren Fanclub gefunden, warum also wieder mitnehmen?
Das Expeditionskorps war also kein Erfolg, die Eroberung Jütlands abgeblasen und die Jüten waren auch nicht daran interessiert, die Elbe zu überschreiten. Es war also im wesentlichen, wie es immer war: Man blieb lieber zu Hause. Als die Burg schliesslich eingenommen wurde, war das kein Grund zum Feiern, denn es war keiner mehr da, über den man hätte siegen können. Später machten sie noch eine andere Burg dem Erdboden gleich: Die Hammaburg nebenan. Burgen waren damals sehr in Mode, aber nicht sehr sicher, weil zu tief unten gebaut. Vielleicht hätten sie oben auf dem 70-Meter-Gipfel mehr Glück gehabt, aber die Götter und so weiter... Man wäre da göttlich halt sehr exponiert gewesen...
Was blieb also von der ersten Expedition in den Norden? Politisch und wirtschaftlich erstmal nichts. Der Bremer Bischof fand‘s trotzdem toll. Hatte er doch jetzt eine Menge Schäfchen dazu bekommen. Die Gegend um den Sandberg war also nicht vergessen und aufgeschoben ist nicht nicht aufgehoben. Zweihundert Jahre später erreichte die Zivilisation dann doch den kühlen und feuchten Norden: Ein Herzog kam auf die Idee, nochmal eine Burg zu bauen. Diesmal etwas weiter östlich der ersten Burg der Südländer, auf einem Inselchen im Störsumpf gleich an der flachen Salatschüssel unterhalb des Elbeblicks. Das war vielleicht ein Kompromiss: Man kam über das Wasser gut nach Süden, ein Handelsweg vom Osten bis zu den westlichen Einöden führte inzwischen vorbei und von Norden stiess ein anderer Weg dazu. Handeln, nicht hauen hiess die Devise für die Zukunft. Der Handelsplatz Itzehoe war geboren und das war ganz eindeutig die bessere Idee. Und so kam das Prinzip „Ich baue eine Burg“ langsam aus der Mode. Mehr Häuser kamen dazu, die Burg wurde umgebaut. Das Kloster, das ganz verwegene direkt an der Störmündung gegründet hatten, wurde ebenfalls dorthin verlegt. Denn keiner wollte sich mehr direkt an der Elbe dauernd nasse Füsse holen, nicht einmal die Mönche. In Itzehoe gab‘s nicht nur weniger Hochwasser, man konnte sich auch noch zwischen Stör und dem Gipfel an den Südwesthang in die Sonne legen und alle sieben grade sein lassen.
Und damit war die Zukunft komplett, ein Gemeinwesen gegründet, das alles hatte, was man im Mittelalter so brauchte. Und langsam auch von Ferne wie eine Stadt aussah, eine Silhouette bekam und einen Namen hatte. Herz, was willst Du mehr!
Was merkwürdig bleibt: Alles spielte sich unten am Wasser ab, niemand wagte, den Gipfel zu bebauen. Keine Burg, keine Kirche. Aber in der Sonne die Aussicht geniessen – das konnte man trotzdem. Und im Norden auf den Sand gucken und im Süden über den Sumpf...
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Ganz besonders danke ich dem Vortragenden, der mir gerade aus einer großen terminplanerischen Patsche geholfen hat!
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Hermann Hofmeister – Der Mann, der Steinburg zum Heldengau machte
"Solange nordisches Blut in uns pulst, müssen wir darum kämpfen."
Der Kaaksburg-Ausgräber und Entdecker der Esesfeld-Burg Karls des Großen ist in der Steinburger Geschichte ein wichtiger Mann. Mit seinem Werk "Urholstein" rückt er 1932 den Gau der Holsaten in den Mittelpunkt germanischer Geschichte. Ausserhalb Steinburgs erregt er jedoch auf andere Weise Aufsehen: Er propagiert die "Germanenkunde" als Kern deutscher und nationalsozialistischer Bildung, ist Antidemokrat und Antisemit. Und er hält damit nicht hinter dem Berg.
Das Jahr 1960 wird in Itzehoe als 1150-jähriges Stadtjubiläum groß gefeiert. Und das, obwohl schon längst klar ist, dass die Esesfeld-Burg Karls des Großen nicht die Keimzelle der Stadt war. Postuliert und durch durch eine Grabung nachgewiesen hatte das der Archäologe Professor Dr. Hermann Hofmeister. Er wird für seine Arbeiten in Steinburg hoch geehrt: Dr. Konrad Brandes würdigt ihn im "Steinburger Jahrbuch" 1961: "(Es) lag dieser einzigartigen Persönlichkeit die Erziehung seiner Schüler zur Heimatliebe und zu einem tiefen, echten Heimatbewußtsein am Herzen."
Hofmeister wird 1878 in Hannover geboren und studiert Philologie und Geschichte. 1902 legt er das Oberlehrerexamen ab und bekommt 1904 den Titel "Dr. phil." verliehen. Er ist als Archäologe tätig und veröffentlicht bis 1914 mehrere Aufsätze über seine Forschung. Sein Laudator, Dr. Konrad Brandes kennt Hofmeister seit 1908, als der in Lübeck die Klasse übernimmt, in der er Schüler ist. Hofmeister rückt im August 1914 in die Armee ein, im Frühjahr 1916 ist er dienstuntaglich zurück in Lübeck. Ein Steckschuss im Hüftgelenk macht ihn dienstuntauglich. Zeitgleich mit seiner Entlassung aus dem Militärdienst verleiht ihm seine Heimatstadt den Titel "Professor".
Er tritt wieder in den Schuldienst am Johanneum ein. Bald werden erste antisemitische Äusserungen bekannt: Am 22. Juni 1917 berichtet Dr. Salomon Carlebach, seit 1870 Rabbiner der israelitischen Gemeinde in Lübeck über ein Hofmeister-Zitat: "Das Judentum und die hebräische Sprache wissen nichts von Treue, die Juden sind Drückeberger." Geschehnisse im Schuljahr 1919/20 führen dann zu scharfen disziplinarischen Maßnahmen: "In der ersten Woche nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub hatte er bereits wieder scharfe antisemitische Äußerungen, auch solche gegen die Bibel im allgemeinen geäussert", notiert die Oberschulbehörde. Im August findet sich in einem Klassenbuch folgender Eintrag Hofmeisters: "Meyer mogelt rassegemäß!" Ende November 1919 weist auch die israelitische Gemeinde noch einmal auf antisemitisches Verhalten am Johanneum hin, Hofmeister wird jedoch nicht ausdrücklich benannt.
Als der den Schülervertreter Karl Hoffmann auffordert, rassistische und antisemitische Flugblätter des "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes", einer Vorgänger-Organisation der NSDAP, an der Schule zu verteilen, lehnt Hoffmann ab. In einem Brief berichtet über die Szene: "Professor Hofmeister machte mir Vorwürfe wegen meiner Weigerung und bezeichnete mein Verhalten als "Waschlappigkeit". Weiter sagte er (...): "Wenn Sie Läuse im Rock haben, schlagen sie sie doch tot." Und mit gehobener Stimme fügte er hinzu: "Juden schlägt man tot!" " Die Oberschulbehörde reagiert im Frühjahr 1920 mit zwei Verweisen gegen den Professor.
Der aber lässt nicht locker: Am 15. November macht er sich zum Jugendwart des "Schutz- und Trutzbundes". Im April 1921 wird von Eltern folgendes berichtet: Professor Hofmeister gab schriftlich zu, daß er wenige Tage, nachdem er die Klasse UIIIa neu übernommen hatte, drei jüdische Schüler von ihren ursprünglichen Plätzen weggesetzt und zu einer jüdischen Gruppe vereinigt hatte. Er bezeichntete die Gruppe als "Synagoge" und machte bei anderer Gelegenheit den "orientalischen Geist" für die Zersetzung des Volkes verantwortlich. Die Folge seines Auftretens waren Verhöhnungen und Belästigungen der jüdischen Schüler." Hier wird schon deutlich, was seinen Höhepunkt in der "Germanenkunde" von 1936 finden sollte: Der Begriff "orientalischer Geist" steht in der NS-Ideologie für alles nicht-germanische, für angeblich christliche und insbesondere jüdische Einflüsse, die den "Germanen" "verweichlichen".
Die Oberschulbehörde reagiert darauf am 18. April 1921 mit einem Disziplinarverfahren gegen den Pädagogen: "Er gilt sicher - auch in der Schule - als besonders national und deutsch gesinnt. (...) Den nationalen Gedanken überspannt er zusätzlich zu einem fanatischen Antisemitismus und hält es offenbar für nationale Betätigung, in der Schule auch in Anwesenheit von Judenkindern den jüdischen Einfluss zu brandmarken." heisst es in den Akten des Verfahrens, "Nachdem jahrelang, auch mit Rücksicht auf Professor Hofmeisters Nervosität Nachsicht geübt worden war, handelte es sich jetzt darum, die antisemitische Wirksamkeit endgültig zu verhindern." Das Ziel des Verfahrens ist die Amtsentlassung Hofmeisters. Am 28. April beschliesst der Lübecker Senat, ein Disziplinarverfahren einzuleiten und Hofmeister zu suspendieren.
Hofmeister reagiert auf die Vorwürfe völlig uneinsichtig, aber mit verstärkten körperlichen und psychischen Symptomen, die in mehreren medizinischen Gutachten dokumentiert sind: "Die Untersuchung zeigt in Professor Hofmeister einen etwas blassen, nervösen Mann, dessen Nervosität sich namentlich in der Redeweise und dem dabei stattfindenden Grimassieren zeigt." Er wird dienstunfähig geschrieben.
Ein erstes Urteil kommt zwar zu einem Schulspruch, belässt Hofmeister aber im Schuldienst. Beide Parteien gehen in Berufung: Hofmeister sieht seine Ehre zerstört, die Oberschulbehörde will ihn loswerden. Endgültiges Urteil am 1. Dezember 1922: Ein Verweis und 500 Goldmark Strafe. Die Oberschulbehörde versetzt den Professor an eine Realschule, der tritt jedoch den Dienst nicht an und verschleppt sein Erscheinen dort mit weiteren Rechtsstreits über Gehaltsnachzahlungen und ärztlichen Attesten. Er fühlt sich weiter in seiner Ehre gekränkt. Am 15. April 1923 geht an der Schule folgendes Schreiben ein: "Infolge körperlicher und seelischer Beschwerden sehe ich mich ausser Stande, morgen meinen Unterricht aufzunehmen. Ärztliches Attest liegt bei. Hochachtungsvoll H. Hofmeister"
Am 15. Oktober 1924 wird Professor Hermann Hofmeister schliesslich in den dauernden Ruhestand versetzt. Inzwischen ist er auch bereits nach Hannover umgezogen. Aber Hofmeister schlägt zurück: So erregt und dienstuntauglich er offiziell ist, schafft er dennoch, im Laufe des Jahres 1924 ein Buch zu schreiben. Es trägt den Titel "Vom Hansegeist zum Händlergeist" und erscheint 1925. Das Vorwort beginnt: "Deutschvölkischen Gruß zuvor!" Hofmeister nutzt einen Ausschnitt aus der "Geschichte der Juden in Lübeck und Moisling" von Dr. Salomon Carlebach als Einstieg und kommentiert dann: "Wir verstehen die Wut dieser jüdischen Säule (...) Reaktion ist nichts anderes als der Gegendruck gegen den sog. jüdischen Fortschritt. Reaktion ist der Kampf des völkischen Geistes gegen das Vordringen Judas und für das eigene Volkstum." Und munter weiter: "Auch im jüdischen Kehricht werde ich in den nachfolgenden Blättern wühlen - aber beileibe nicht aus Begeisterung für diesen Stoff (er widert mich an) oder oder um zum abertausendsten Male darzutun, "daß die Juden schon seit Abrahams Zeiten Nichts taugten". Dieses Thema ist erledigt uns erwiesen (...) unser heutiges Judenregiment in Deutschland ist kein Findelkind aus den Tagen der Revolution, sondern die Frucht einer längeren geschichtlichen Entwicklung. Juda deckt die Karten nicht auf und rührt den eigenen Kehrichthaufen nicht an. Aber das deutsche Volk ist über ihm ausgerutscht und liegt nun mitten in diesem Dreck drin. Jetzt heißt es Säuberung! Jetzt gilt es, diesen Kehricht wieder von uns abzustreifen. (...) Ich will bewußt mit meiner Seele schreiben, die kerndeutsch, alldeutsch, deutschvölkisch sein will bis zum Grunde. (...) Für Juden schreibe ich nicht, und über Kulturbastarde sehe ich hinweg. (...) Lübeck 1924, Prof. Dr. Hofmeister." Im Anhang findet sich unter anderem die Schrift Luthers "Von den Juden und ihren Lügen".
Da Hofmeister weiterhin Ruhestandsbezüge erhält, widmet er sich wieder seiner Forschung. 1926 propagiert er in Kiel "Urholstein" als "Anfang einer großen und wichtigen Forschung". Die Kaaksburg nördlich von Itzehoe bietet ihm dafür den richtigen Ansatzpunkt. Ein Schriftwechsel mit dem damaligen Steinburger Landrat Göppert führt schliesslich zur Ausgrabung in den Jahren 1929 bis 1931. In Steinburg propagiert Hofmeister auch zum ersten Mal einen neuen Stil der Vermittlung archäologischer Erkenntnisse an die Bevölkerung: Er regt den Bau einer "Heimathalle als lebensnahe Bildungsstätte für weite Kreise unserer Bevölkerung" in Itzehoe an. Das erscheint für diesen Kreis von großer Bedeutung, denn Hofmeister gibt den Holsaten für das Germanentum und die deutsche Geschichte eine wichtige Rolle: Treu seien sie gewesen, die Holsaten und niemals hätten sie sich von ihrer Scholle vertreiben lassen. Nicht einmal vor der "Slawenwalze" seien sie gewichen, "Sie hielten ihr Vaterland frei von jeder Knechtschaft". Als Beleg gilt, dass die Esesfeld-Burg niemals eingenommen wurde. Allerdings verlagerten sich die Interessen des Reiches wieder nach Süden, sodass die Franken sie von allein verliessen.
1932 erscheint dann der Grabungsbericht als "Urholstein". Über die rein wissenschaftliche Dokumentation hinaus färbt Hofmeister den Inhalt im deutsch-nationalen Sinn. So finden sich folgende Darstellungen: "Stammesstolz trat in gegensatz zu dem fremden Bevölkerungszuwachs. Für diese tatsache, die das beste rassische Schutzmittel darstellt, besitzen wir einen guten, historischen Beleg. (...) "Echter Holsate" war ein Ehrentitel, der verpflichtete - und der heute noch verpflichtet..." und weiter: "Nach langen Jahrhunderten (...) brach das Unglück aus dem Osten übers Land herein. Slawischer Barbarismus zermalmte deutschen Boden und deutsche Kultur." Landrat Göppert ist sehr angetan von dem Werk, im Vorwort sagt er: "Wir danken ihm (Hofmeister) besonders sein Verhältnis für Heimatgefühl und Heimatliebe und seine hohe Auffassung über die inneren Werte, die seinen Darlegungen zugrunde liegen und ihnen eine besondere Bedeutung verleihen. Ist doch diese Heimatverbundenheit und Heimatliebe gerade in diesen Zeiten der Not und Sorge eine Stütze und jede Stärkung dieses Gefühls eine innere Hilfe.
Das Jahr 1932 ist in der Karriere des Hermann Hofmeister ein Wendepunkt: Er wird vom Innen- und Volksbildungsminister des Landes Braunschweig, Dietrich Klagges, an der TU Braunschweig zum Landesarchäologen ernannt, mit dem Schwerpunkt "Germanenkunde". Klagges brachte im selben Jahr noch einen anderen Mann einen großen Karriereschritt weiter: Adolf Hitler. Für ihn wird eine Stelle im Landesvermessungsamt eingerichtet mit der Folge, dass er deutscher Staatsbürger wird und damit wählbar. In den Folgejahren macht Dietrich Klagges Braunschweig zum NS-Musterland. Für die deutschen Wurzeln im Germanentum ist Professor Hofmeister zuständig.
1934 erscheint, herausgegeben von Nationalsozialistischen Lehrerbund, Gau Südhannover-Braunschweig, sein Buch "Germanenkunde und nationale Bildung". Hofmeister propagiert nun endgültig die einzigartige Stellung der Germanen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: "Überall am Kulturfirmament der neuen Volksgestaltung wetterleuchtet die Lichtgestalt des Germanen. Seine ehrliche Art, seine hohe Sittlichkeit, sein gesundes Rechtsempfinden, sein heldischer Geist wirken als Gesetz und Ziel. Ein völkisches Erwachen, ein tiefes Sehnen nach arteigener Kultur geht durch das deutsche Volk." Hofmeister erinnert sich an seine Lübecker Zeit, wenn er schreibt: "Ohne die Kraft der Germanen wäre Europa durch die Überflutung mit Hunnen, Slawen, Mauren, Türken und Juden eine asiatische Kolonie geworden, in der nicht arischer Heldengeist, sondern orientalischer Krämergeist tonangebend gewesen wäre." Für ihn gibt es nur noch einen Weg, aus den Problemen der Zeit heraus zu kommen: "(Es gibt) kein packenderes Vorbild als die Germanenkunde und die Lichtgestalt des Germanen. Wie selbstverständlicher Weise jede Unterweisung in der Germanenkunde die nationale Bildung fördern wird, ist umgekehrt jede deutsche Volkserziehung an die Germanenkunde gebunden und ohne sie unmöglich." Und zum guten Schluß: "Jetzt warten wir auf das reinigende Gewitter, in dem der germanische Held in seiner ganzen Größe grell aufblitzt, den heißen Brand in der deutschen Volksseele entfacht und mit heiliger Flamme allen Kulturunrat beseitigt. Aber er vernichtet nicht, er schafft nur reine Bahn für eine wirkliche wurzelechte nationale Bildung!"
Der Höhepunkt in der Verbindung Steinburg – Hofmeister bildet schliesslich die Gründung des "Heimatverbandes für den Kreis Steinburg". Hofmeister hält am 15. Dezember in Itzehoe die Gründungsrede. Die "Schleswig-Holsteinische Tageszeitung" berichtet darüber: "Zur Gründung eines Heimatverbandes für den Kreis Steinburg hatte Landrat Dr. Ide zum 15. d. Mts. eine Versammlung nach Baumanns Gesellschaftshaus in Itzehoe einberufen (...). Anwesend waren unter anderem Gauinspekteur Schneider, Brigadeführer Rau mit seinem Adjutanten sowie Professor Dr. Hofmeister - Braunschweig. (...) Professor Hofmeister sprach zunächst über die bisher im Kreise Steinburg geleisteten einschlägigen Vorarbeiten. (...) Wir müßten wieder unsere eigene Kultur pflegen und brauchten die von Osten eingeführte Kultur nicht. Schon Likurg von Sparta habe gesagt: "Ein Volk, das seine Vergangenheit nicht kennt, hat keine Zukunft." Zu einer solchen Einrichtung sei aber kein Kreis geeigneter als der Kreis Steinburg. Sei er doch die Urquelle des alten Holsatengaues. Reicher Beifall folgte dem von hoher nationaler Begeisterung getragener Vortrag."
Zu einer weiteren Zusammenarbeit Hofmeister – Steinburg kommt es nicht. Der Professor ist in Braunschweig mit dem Aufbau eines Museum beschäftigt und stirbt dort sehr überraschend am 26.Juli 1936. Sein "Magnum opus" kann er jedoch vollenden: Im Verlag Moritz Diesterweg erscheint der Band "Germanenkunde", der damit sein Vermächtnis wird. Die Einführung bildet eine Erzählung von Max Jungnickel, in der das "Heilige Land" nicht das alte Israel, sondern die "Heilige Germanische Scholle des Bauern" ist, sein Land, Germanien. Das Germanentum ist für Hofmeister die Spitze der Menschheit: "Die rassische art der Germanen entscheidet sich für die nordische Idealgestalt des edlen, heldischen Siegfried, aber niemals für einen art-und wesensfremden David. (...) Mit Stolz erkennen wir heute in dem Träger dieses Aufstieges der Menschheit die Führergestalt der Germanen." Germanien und Deutschland werden als ein seit Urzeiten bestehendes Kontinuum gedeutet und dargestellt. In den Text fliesst auch eine kleine, aber bedeutende Änderung der Sichtweise ein: "vor/nach Christus" wir konsequent ersetzt durch die Angaben "vor/nach der Zeitenwende". Die Zukunft sieht Hofmeister so: Er zitiert zunächst Tacitus, dass die Menschen, die als Moorleichen versenkt wurden, "Feiglinge" gewesen seien, die nicht geduldet wurden und daher sterben mussten. Hofmeister dazu: "Bei Wiedereinführung dieser Sitte würde es gar nicht lange dauern, dass sich unsere gesunde deutsche Jugend freudig zu solcher starken Lebenserziehung bekennen, freiwillig aller Verweichlichung entsagen und begeistert allein dem Gesetz der Ehre und des Gewissens folgen würde. Die Strafe könnte noch so hart sein; wir würden sie nicht fühlen, da wir sie nicht zu fürchten brauchten."
Und er schliesst: "Die Germanen sind ohne allen Zweifel das erste Kulturvolk der Erde. (...) Allein aus der völkischen Wurzel vermag der stolze Baum einer gesunden und starken nationalen Bildung zu sprossen. (...) Das orientalische Weltbild machte uns zu Knechten, die in Dankbarkeit ersterben sollten... (...) Wie wir als nordische Rasse nur noch das Nordische anerkennen, so rechnen wir in Zukunft mit einer Kultur, nämlich der Kultur dieser Rasse. Hiermit wird allem Orientalismus die Axt an die Wurzel gelegt. (...) Ob wir wollen oder nicht: Solange nordisches Blut in uns pulst, müssen wir darum kämpfen. (...) Der Nationalsozialismus steht und fällt mit der Grundlage des echten Germanentums! (...) Der Deutsche muß aus seiner Knechtschaft aufgerüttelt und für die Herrenstellung, die er auszufüllen hat, erzogen werden. Dem Ziel rücken wir näher, je stärker jeder Deutsche wieder den Pulsschlag reinen Germanentums in sich verspürt." (2005)
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